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Dein Kunde, das unbekannte Wesen: Warum CRM noch immer nicht im Online-Handel angekommen ist

CRM im Onlinehandel? Nur wenige Händler haben bisher erfolgreich die Herausforderung gemeistert. Unsere Gedanken dazu im Beitrag.
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Beginnen wir mit einer These: Nur wenige Händler haben bisher erfolgreich die Herausforderung gemeistert, das gesammelte Kundenwissen über ein CRM-System im Alltagsgeschäft nutzbringend anzuwenden. Stimmt das? Möglicherweise, muss die vorschnelle Antwort lauten, denn es gibt gute Gründe für diese Annahme. Und es sind keinesfalls die Gralshüter des vermeintlich sterbenden Einzelhandels, auch Onliner scheitern regelmäßig an den Möglichkeiten, die CRM und Digitale Transformation bieten. Eigentlich, muss man hinzufügen.

Kurioserweise ist Customer Relation Management kein Trend, der erst mit dem Boom des E-Commerce die Bühne betreten hat. Bereits 1993 veröffentlichte Siebel Systems die erste für das Kundenbeziehungsmanagement entwickelte Software, also in etwa zeitgleich mit der sogenannten „Popularisierung des Internets“ und den allerersten Online-Shops. Und doch: CRM gehört keinesfalls zu den Kernkompetenzen hiesiger Online- und Multichannel-Händler. Nicht einmal zwei Drittel der befragten Unternehmen gaben laut einer aktuellen Uniserv-Studie an, mit der Effizienz des eigenen Kundendatenmanagements zufrieden zu sein. Oder anders gesagt: Auch im dritten Jahrzehnt des populären Internets bleibt der Kunde ein unbekanntes Wesen. Woran liegt’s?

Ein Deckel, viele Töpfe

Die Gründe sind vielfältig. Sie mögen in unternehmensphilosophischen Fehlschlüssen wie einem mangelnden Verständnis für die Customer Journey zu suchen sein, viel häufiger aber sind die Gründe weitaus pragmatischer und eher dem „Alltagsgeschäft geschuldet“. Gerade Händler, die aus dem stationären Umfeld kommen, tun sich außerordentlich schwer, Online-Nutzer zu verstehen und Kundenerlebnisse so zu gestalten, dass Kundenloyalität überhaupt erst entstehen kann. Häufig ist eine antiquierte Denkweise in typischen ERP-Kategorien wie „Ressourcen“ und „Kapital“ ursächlich für eine fehlende Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Kunden. Hinzu gesellen sich weitere Schwierigkeiten, z.B., weil Prozesse und Strukturen des stationären Geschäfts nicht oder nur unzureichend digitalisiert wurden und Kundendaten – als Grundlage für den Aufbau von Kundenloyalität – überhaupt nicht zu Verfügung stehen. Die Fachliteratur kennt das „Channel-Silo-Phänomen“, gemeint ist die Praxis, Daten in voneinander isolierten Silos abzulegen. So landen die Daten der Newsletter-Abonnenten z.B. in einer anderen Datenbank als die Inhaber einer Kundenkarte, App-Kunden werden anders verwaltet als Online-Kunden oder womöglich fehlen Daten gleich vollständig wie im Falle von Gast-Bestellungen. Entweder die Daten fehlen oder sie sind über mehrere Silos verteilt. Eine homogene Ansprache des Kunden mithilfe zielgerichteter Werbemaßnahmen wird so unmöglich. Schon der Umstand, dass Omnichannel-Händler meistens zwischen Online- und Offline-Kunden unterscheiden, ist beredter Beleg der Misere, denn die Qualität der Kundendaten ist bei diesen Unternehmen häufig unzureichend. Zum Problem „verteilter“ Kundenakten gesellen sich weitere Aspekte, z.B. technische Limitierungen oder auch die rigiden Richtlinien der DSGVO. Vielen Händlern werden die Versäumnisse erst dann schmerzhaft bewusst, wenn das Bestandskundenmarketing spürbar leidet und sich die alte Regel bewahrheitet, dass die Reaktivierung eines Bestandskunden nur einen Bruchteil von dem kostet, was es zur Neukundengewinnung braucht.

Kunden, die Äpfel gekauft haben, interessierten sich auch für Birnen

Das Datensilo-Problem ist aber keinesfalls nur im Umfeld von Unternehmen zu finden, die ihre Wurzeln im stationären Handel haben. Es genügt schon, dass Daten von unterschiedlichen Abteilungen eines Unternehmens gesammelt werden, um in die gleiche Falle zu tappen. Wenn dann keine Zusammenführung und Bereinigung der Daten erfolgt, wird effizientes Kundenmanagement auch hier zur Unmöglichkeit. Statt eine Konsolidierung von Produkt- und Kundendaten unter der Ägide des CRM-Systems ins Auge zu fassen, favorisieren viele Unternehmen jedoch eine Lösung, die schon aufgrund ihres Inselcharakters ungenügende Ergebnisse liefert: die Implementierung einer Recommendation Engine. Ein solches Software-System hat das Ziel, eine Vorhersage zu treffen, die quantifiziert, wie stark das Interesse eines Benutzers an einem bestimmten Objekt ist, um eben genau dieses Objekt zu empfehlen. Ein nahezu unmögliches Unterfangen, wenn unzureichend gepflegte Daten die Grundlage der Bewertung sind. Gutes Bestandskundenmanagement beginnt mit guten Produktdaten auf deren Grundlage dann gute Rückschlüsse auf das Kaufverhalten gezogen werden können. Doch schon hier beginnen die Probleme vieler Händler: eine heterogene IT-Landschaft, darüber hinaus Lieferanten, die oft selbst ihre Produktdaten nur unzureichend pflegen. In der Konsequenz widerfährt Online-Händlern dann nicht selten, was Multichannel-Retailer zur Genüge kennen: Der Anspruch an CRM ist hoch, der tatsächliche Nutzen jedoch gering. Was dem effizienten Umgang mit Kundendaten im Wege steht, ist häufig ein mangelndes Bewusstsein für die Notwendigkeit einer kundenzentrischen Sicht, für die Bedeutung einer guten User Experience. Auch unter Online-Händlern ist diese Denkweise weit verbreitet: Es wird viel für die Neukundengewinnung getan, die Pflege von Bestandskunden (auf der Grundlage der Kundendaten im CRM) wird hingegen vernachlässigt. Dabei sind es gerade diese Kunden, die wertvolle Differenzierungsmerkmale im Wettbewerb darstellen, z.B., weil Kundenloyalität wertvolle Bewertungen zeitigt. Allen Unkenrufen zum Trotz geben Kunden gerne Daten preis – wenn es dafür im Tausch einen adäquaten Mehrwert gibt, eine möglichst gut personalisierte Customer Experience. Diesen Mehrwert zum Wohle des Kunden zu erzeugen, ist ohne effizientes CRM kaum möglich.

Kundendaten sind keine Domäne von Großunternehmen

Und doch bemühen sich viele Händler vergebens, dem ERP-Dilemma zu entfliehen, z.B. indem sie ihr System um die Fähigkeit erweitern, Online-Daten integrieren zu können. In der Praxis erweist sich dies in aller Regel als nahezu unmögliche Herausforderung. Vielleicht auch, weil schon der zugrundeliegende Denkansatz fehlerbehaftet ist. Denn erst mit der Einführung von CRM gewinnt man ja jene Datenquelle hinzu, die abstrakte ERP-Daten in greifbare Kundenloyalität transformieren kann. CRM ist mehr als Kundenverwaltung! CRM bietet im Idealfall als Customer Data Platform die technische Basis, um verstreute Kundeninformationen konsolidiert zusammenzuführen.

Das Thema Kundendaten ist eine klassische Domäne von Großunternehmen. Doch längst hat die digitale Transformation der letzten Dekade so viele Online-Händler entstehen lassen, dass Kundenbindung auch für kleine und mittlere Unternehmen von größter Bedeutung ist. Denn: Insbesondere der E-Commerce-Markt ist dynamisch, wettbewerbsfähig – und leider auch saturiert. Wer heute den Markt betritt, muss genau wissen, wie er sich behaupten will. Der Königsweg: loyale Kunden!

Christian P. Rösner
CEO AMTANGEE AG

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