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Was heißt und zu welchem Ende braucht man Open Data?

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Ob in den Höhlen von Chauvet oder auf der eigenen Facebook-Seite: Menschen möchten Spuren hinterlassen, zeigen, dass sie da waren und wie sie verstanden werden wollen. Und doch hat sich etwas verändert seit den ersten Höhlenmalereien: Von der Steinzeit bis 2003 wurden insgesamt weltweit schätzungsweise fünf Exabyte an Daten generiert – in diesem Jahr allein werden es annähernd drei Zettabyte sein. Daten, die unerwartete Einsichten verbergen. Und erklärungsbedürftig sind. Nur wie?

Vielleicht so: Was früher schlagartig Ermüdungserscheinungen hervorrief, entpuppt sich mittlerweile als hippes Wunderkind der Informationsvermittlung, Internet sei Dank. Es geht um Infografiken! Die Digitalisierung hat die Daten aus ihren ellenlangen Tabellen und staubtrockenen Diagrammen befreit, immer mehr statistische Daten sind im Netz für jedermann verfügbar. Und dass es immer mehr werden, dafür sorgt nicht zuletzt der öffentliche Wunsch nach Transparenz. Initiativen wie freeourdata.org.uk fordern schon seit langem die Veröffentlichung insbesondere von Zensusdaten. Das Bestreben der scheidenden Obama-Administration, größere Transparenz bezüglich der Steuerausgaben herzustellen, führte Mitte 2009 zur Veröffentlichung der Website data.gov. Ein umfangreicher Katalog von Daten der verschiedensten staatlichen Einrichtungen gewährte erstmalig Einblick in die Blackbox. Viele der Daten waren bereits vorher an den verschiedensten Stellen im Web öffentlich zugänglich, aber erst jetzt – an einer zentralen Stelle und mit einer für Analyse und Visualisierung notwendigen Qualität der Formatierung – entfaltete die Initiative ihren Einfluss auf eine materialhungrige Community. Andere Institutionen folgten dem Beispiel: UNdata, data.gov.uk, große Kommunen wie New York, San Francisco oder London beteiligten sich an der massenhaften Veröffentlichung auswertbarer Daten. Auch Potsdam hat mittlerweile eine Open Data-Bewegung. AMTANGEE ist in diesem Jahr Unterstützer des Open Data Barcamp – und zwar aus gutem Grund. Aber der Reihe nach.

Wir sind, was wir verstehen

Politiker brauchen Entscheidungshilfen. Für Entscheidungen, die auf verlässlichen wirtschaftlichen und demografischen Daten beruhen. Daten, die bis zum Aufkommen der Open Data-Bewegung in unserer Zeit nur Eingeweihten zur Verfügung standen. Früher wie heute waren diese Daten aber selten anschaulich, es bedurfte der grafischen Darstellung, um die ihnen innewohnenden Trends aufzuzeigen. Es verwundert daher nicht, dass die ersten Formen statistischer Diagramme in einer Zeit entstanden, als die politische Bühne – besonders die europäische – zusehends komplexer wurde und nationalstaatliche Bestrebungen diplomatisches Feingefühl ebenso erforderten wie cleveres Taktieren. Seit dieser Zeit gehören Informationsbeschaffung und -auswertung fest zum politischen Handwerkszeug, wie wir eindrucksvoll beim deutsch-schweizerischen Mathematiker Johann Heinrich Lambert (1728-1777) sowie dem schottischen Ingenieur und Ökonomen William Playfair (1759-1823) sehen können. Bis ins 18. Jahrhundert hinein waren Tabellen die übliche Art, Daten zu notieren. Erst mit Lambert und Playfair entwickelten sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts statistische Grafiken wie Balken- oder Tortendiagramme, Zeitlinien oder Scatterplots. Und damit nur kurze Zeit nach fundamentalen mathematischen Innovationen wie Logarithmen, dem Kartesischen Koordinatensystem, Differenzialrechnung oder Wahrscheinlichkeitstheorie. Dem Wissenssprung folgten neue Wege der Wissensvermittlung. Wie heute.

Die Gischt an den Gestaden der zivilisierten Welt

Mit der Frage nach einer effektiven Informationsvermittlung beschäftigt sich seit den 1960er Jahren auch der Architekt Richard Saul Wurman, Initiator der TED-Konferenz. Von ihm stammt auch der Begriff „Informationsarchitektur“, mit dem er direkt auf die so genannte „Datenexplosion“ durch die Entwicklungen im Bereich der Computertechnologie reagierte.

Eine wahre Datenflut brandet an die Küsten der zivilisierten Welt. Es ist eine Welle beziehungsloser, stetig wachsender Daten aus Bits und Bytes, die mit einer unstrukturierten, unkontrollierten, unverständlichen Kakophonie der Gischt heranrollt.
Richard Saul Wurman

An der Spitze der Informationspyramide – zusammengesetzt aus den Ebenen Daten, Information, Wissen und Weisheit – steht die Handlungsaufforderung als zwingende Konsequenz aus dem vertieften Verständnis komplexer Zusammenhänge. Wer alles weiß, muss auch wissen, was zu tun ist. In einer fortgeschrittenen Informationsgesellschaft wird Informationsdesign damit zwangsläufig zu einer kulturveredelnden Disziplin. Und Open Data zu einem Angebot an uns alle, die richtigen Fragen zu stellen, um den Gemeinnutz zu mehren. Natürlich: Die Erhebung von Daten ist nichts Neues, zu allen Zeiten wurde quantifiziert, wurden Zahlen in Tabellen gezwängt. Aber die massenhafte Verfügbarkeit von Daten gleich welcher Herkunft ist ein Phänomen unserer Tage. Die technologischen Fortschritte des Internetzeitalters haben die Sammlung und Speicherung von Daten immens vereinfacht und damit auch das Gebiet der Datenvisualisierung einer kritischen Revision unterworfen. Denn so viel ist klar: Mit Balkendiagrammen allein ist unsere komplexe Lebenswelt nicht mehr zu verstehen. Und ohne dieses Verständnis können wir nicht mündig und verantwortungsvoll agieren.

Das Dilemma: Unsere Fähigkeiten, Daten zu erzeugen, übersteigen in zunehmendem Maße unsere Möglichkeiten, sie auch zu verstehen. So wie sich unsere Realität verändert, verändern sich daher gegenwärtig auch die Formen ihrer Präsentation. Muster zu erkennen und bedeutungsvolle Schlussfolgerungen aus Daten zu ziehen, entwickelt sich damit zu einer der größten Herausforderungen des neuen Jahrtausends. Was lernen wir dabei über uns selbst? Und wie können wir gesellschaftspolitische Diskurse und Wertediskussionen nutzbringend voranbringen? Wir erleben derzeit nicht nur die Demokratisierung von Daten, sondern auch die Demokratisierung ihrer Darstellung. Fast scheint es, als wäre eine gesamte Branche nach dem verfrühten Totenamt der PowerPoint-Präsentationen in neuer Sensibilität erstarkt. Aber: Zwischen der Komplexität angehäufter Daten und der vermeintlichen Einfachheit ihrer Visualisierung liegt eine besondere Herausforderung. Rohdaten und Präsentationsmethoden aussagekräftig zu verbinden, ist der schmale Grat, den heutige Informationsdesigner zu beschreiten haben. Mit Um- und Vorsicht und einem sensiblen Blick auf die Gemeinde der Betrachter. Komplexität berauscht – und schüchtert ein. Denn die umfangreichen Datenmengen und die Mächtigkeit existierender Tools versetzen den Designer nicht selten in die gleiche gefährliche Lage wie in der Frühzeit von Photoshop: selbstverliebte Opulenz. Auch wenn die Ästhetik einer Darstellung zunehmend wichtiger wird, so ist doch die Beförderung der Erkenntnis oberstes Gebot.

Stellt euch vor es ist Volkszählung – und niemand geht hin

Daten werden künftig zum wertvollsten Rohstoff überhaupt, der sich jedoch paradoxerweise anders verhält als – sagen wir – Seltene Erden. Die Vorkommen wachsen beständig statt zu schrumpfen, und zahlreiche Unternehmen entwickeln immer findigere Strategien, um personenbezogene Daten zu monetarisieren. Was hingegen sinkt, sind die moralischen Schranken bei der Datenverwertung. Die bundesrepublikanischen Tumulte anlässlich der Volkszählung 1987 erscheinen heute geradezu befremdlich. Jeder durchschnittliche Teenager mit aktivierter Geolokalisierung und Facebook-App gibt an einem Tag mehr sensible Informationen von sich preis als es die Köpfe hinter der Volkszählung je im Sinn gehabt haben könnten. Open Data ist deshalb von so immenser Bedeutung, weil sich hier besonders gut informationsethische Fragen diskutieren lassen. Fragen, die auch AMTANGEE täglich beschäftigen. Zum einen, weil es bei uns um die sichere Verwahrung und Verwaltung sehr großer Datenmengen geht, zum anderen, weil die permanente Analyse der gesammelten Informationen erst dann einem hehren Ziel zuträglich wird, wenn sich damit – in unserem Fall – effektiv die Beziehungen eines Unternehmens zu den eigenen Kunden verbessern lassen. Und zwar zum ausdrücklichen Vorteil beider! Es ist nicht die Sammlung von Daten, die unter Generalverdacht gestellt werden sollte, sondern vielmehr der moralische Grundanspruch bei allen Fragen ihre Verwertung betreffend. Denn: Was machbar ist, ist noch lange nicht legal. Und was legal ist, ist noch nicht zwangsläufig legitim. Oder moralisch vertretbar. Die seriöse Aufarbeitung massenhaft aggregierter Daten wird – daran besteht kein Zweifel – zukünftig eine zentrale Kulturtechnik sein.

Dass Statistik und Lüge Hand in Hand gehen, ist eine häufig kolportierte Binsenweisheit. Es sind aber nicht zwangsläufig die Zahlen, die lügen. Es ist ihre spezifische Verwendung, die Falschaussagen ermöglicht. Oder aber eine verdeckte Realität enthüllt, die zuvor noch in den Zahlen versteckt war. Die Zahlen selbst sind dabei zunächst noch ohne Bedeutung, weder gut noch schlecht. Zahlen sind einfach nur. Bis daraus Geschichten werden, die gesellschaftliche Diskurse anregen können oder unser Wertesystem kritisch hinterfragen. Und wir alle sind Teil dieser Geschichte, schon durch unsere täglichen Interaktionen. Wir hinterlassen nicht nur offensichtliche Spuren im Social Web, wir erzeugen auch Verkehrsdaten, Versandinformationen, Spuren in Warenwirtschafts- und Zugangskontrollsystemen oder Finanzdaten. Ständig. Wir haben ein digitales Ich, das uns meist so verborgen bleibt wie unser Unterbewusstsein. Durch die Visualisierung von Daten wird diese unentdeckte Ebene sichtbar, werden Muster und Tendenzen hinter unseren Handlungen erkennbar. Um diese steigende Komplexität unserer Interaktionen sichtbar zu machen, ist es längst nicht mehr ausreichend, irgendein Charting-Template zu befüllen. Das mag mit Quartalszahlen noch funktionieren, im n-dimensionalen Informationsraum bedarf es anderer Methoden und Werkzeuge. Informationsgrafiker sind damit nicht Informations-„Umwandler“, sondern Erkenntnis-„Vorbereiter“. Schon, weil die von der Open Data-Bewegung eingeforderten Daten staatlicher Institutionen mit Misstrauen, Skepsis, bisweilen sogar Ablehnung betrachtet werden. Die Open Data-Bewegung hat einen schier unendlichen Materialpool eröffnet – allerdings ist dieses Geschenk wie ein Buch, in dem alle verwendeten Buchstaben alphabetisch sortiert sind. Die Geschichte hinter den Daten sehen wir noch nicht, den Erkenntniswert können wir höchstens erahnen. Damit wird Glaubwürdigkeit zur stillschweigenden Forderung an jede Form der Datenvisualisierung. Denn: Infografiken überzeugen nicht dort, wo sie zu Erwartendes bestätigen, sondern mitunter Unerwartetes offenbaren. Wo Daten erst Geschichten erzählen – und dann Handlungen zeitigen.

Man sieht nur, was man weiß – und umgekehrt

Datenvisualisierung ist ein flüchtiges Handwerk. Denn es geht nicht um das Bild, sondern einzig um die ihm innewohnende Erkenntnis. Und die Visualisierung, die am ehesten geeignet ist, eine Erkenntnis zu befördern oder sogar eine Entscheidung vorzubereiten, ist damit zwangsläufig die beste. Die visuelle Interpretation der Daten kann nicht wertfrei sein, sie muss es auch gar nicht. Aber sie kann frei von Absolutheitsansprüchen sein. Visuelle Metaphern sind seit jeher mächtige Stützen der menschlichen Vorstellungskraft. Von den Hieroglyphen bis zum modernen Alphabet haben Ziffern, Objekte und Illustrationen die menschliche Kultur begleitet und den kollektiven Gedankenaustausch befördert. Die Komplexität der modernen Lebenswelt wird oft nur in ihrer visuellen Abstraktion greifbar, erlebbar, verständlich. Heutige Datenvisualisierungen vermögen über den etablierten Formenschatz hinauszugreifen und nicht nur den Umgang mit Daten zu vereinfachen, sondern darüber hinaus auch die entscheidenden Fragen an das Material offenzulegen, uns zum Kern der Dinge zu führen. Es geht um nicht weniger als die Frage, wie wir etwas darstellen können in einer Welt, in der letztlich jede Aussage immer zwischen zwei Klammern gestellt werden muss. Dem Ausgeliefertsein gegenüber der Informationsflut, Desinformation und Kurzsichtigkeit des Medienzeitalters muss nicht zwangsläufig die totale Verweigerungshaltung gegenübergestellt werden, der optische Atheismus. Es gibt auch alternative Wege, ein Stück Mündigkeit wiederzuerlangen.

Zum Beispiel Open Data als demokratisiertes Versuchsfeld informationsethischer Postulate. Unser Geschäft: eine Software, die Dreh-und Angelpunkt aller Informations- und Kommunikationsflüsse eines Unternehmens ist. Unser Anspruch: größtmögliche Sensibilität bei der Verwaltung und Auswertung der Daten – zum Wohle von Kunde und Unternehmen auf der Basis einer wertschätzenden und dauerhaften Verbindung. Kurzum: Wichtige Fragen treiben uns um, die erst in der Diskussion ihre Relevanz unter Beweis stellen müssen. Wir freuen uns, dass es dem OK Lab Potsdam gelungen ist, ein kostenfreies Barcamp auf die Beine zu stellen, damit engagierte Bürger mehr über Open Data und Datenvisualisierung erfahren können. Und deshalb sind wir mit großer Freude Sponsor dieses Events!

Alle Fakten zum Barcamp auf einen Blick:

Zeit: 12. November 2016, 10:00 – 18:00 Uhr (Anmeldung ab 09:00 Uhr)
Ort: Freiland Potsdam (Google Maps)
Weitere Informationen: https://potsdam.io/

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